Was ist eine systemische Haltung?
Im Kern geht es bei einer systemischen Haltung darum, Menschen nicht isoliert, sondern als Teil komplexer sozialer Zusammenhänge zu betrachten. Klient*innen bringen ihre Themen, Sorgen und Ziele immer im Kontext ihrer Beziehungen, ihrer Lebensgeschichte und der sie umgebenden Systeme mit. Die Beratung nimmt deshalb Abstand von rein defizitorientierten, monokausalen Erklärungsansätzen und öffnet den Blick für die Vielfalt menschlicher Lebenswelten.
Eine systemische Haltung zeichnet sich durch Wertschätzung, Respekt und eine konstruktive Grundhaltung aus. Sie anerkennt, dass Menschen Experten für ihr eigenes Leben sind und vielfältige Ressourcen in sich tragen. Statt Lösungen vorzugeben, begleitet systemische Beratung Klient*innen dabei, eigene Sichtweisen zu erweitern und neue Möglichkeiten der Gestaltung zu entdecken.
Wesentliche Prinzipien der systemischen Haltung
- Konstruktivismus: Realität wird als sozial konstruiert verstanden. Was Menschen erleben und wie sie darüber sprechen, ist immer von individuellen und kollektiven Deutungen geprägt. Die systemische Haltung hinterfragt, wie Wirklichkeiten entstehen und wie sie veränderbar sind.
- Kontextorientierung: Verhalten, Gefühle und Überzeugungen können nur im jeweiligen Zusammenhang verstanden werden. Systemische Berater*innen fragen: In welchem Kontext macht dieses Verhalten Sinn?
- Ressourcenorientierung: Statt die Aufmerksamkeit auf Defizite zu lenken, richtet sich der Blick auf bereits vorhandene Stärken und Kompetenzen der Klient*innen sowie auf unterstützende Netzwerke.
- Wertschätzung und Neutralität: Systemische Haltung bedeutet, die Wirklichkeitskonstruktionen der Klient*innen ohne Bewertung zu respektieren, und die eigene Sichtweise nicht als allgemeingültig zu setzen.
- Zirkularität: Die Erklärung und Betrachtung von Problemen erfolgt kreisförmig und nicht linear. Es geht um das Erkennen von Wechselwirkungen und Dynamiken zwischen allen Beteiligten eines Systems.
- Lösungsorientierung: Der Fokus liegt auf der Zukunft und darauf, was möglich ist, anstatt auf ausführlichen Problembeschreibungen zu verweilen.
Systemische Haltung in der Beratung
Wie zeigt sich eine systemische Haltung konkret in der Beratung? Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist eine offene, nicht-wertende Grundhaltung gegenüber allen Beteiligten. Anstatt Ratschläge zu geben, werden Fragen gestellt, die neue Perspektiven ermöglichen.
Im Beratungsprozess werden zirkuläre Fragen genutzt, um Wechselwirkungen sichtbar zu machen: „Wie würden andere Personen in Ihrem Umfeld beschreiben, was gerade passiert?“ oder „Was würde sich verändern, wenn Sie in dieser Situation anders reagieren würden?“ Solche Fragen regen dazu an, eingefahrene Sichtweisen zu verlassen und neue Handlungsspielräume zu entdecken.
Ressourcen und Kompetenzen der Klient*innen stehen im Mittelpunkt. Klient*innen werden ermutigt, eigene Lösungen zu entwickeln und Veränderungen in kleinen, begehbaren Schritten anzugehen. Es wird oft mit Visualisierungen (zum Beispiel Genogrammen oder Systemaufstellungen), um Zusammenhänge und Muster in den Beziehungen sichtbar zu machen.